Aristoteles: Tugend als die richtige Mitte

In seinem Werk „Nikomachische Ethik“ setzt sich Aristoteles mit dem Begriff der Tugenden auseinander und damit, wie wir uns verhalten sollten, wenn wir tugendhaft sein möchten.
Tugenden sind für Aristoteles Haltungen, zu denen jeder Mensch die Anlage besitzt, die sich jedoch im Laufe des Lebens erst ausbilden müssen.
Aristoteles unterscheidet zwischen „Verstandestugenden“ wie z.B. Weisheit, Verstand und Klugheit und „sittlichen Tugenden“ wie Freigebigkeit und Mäßigkeit (Aristoteles, „Nikomachische Ethik“, 1103a).
Tugendhaftes Handeln zeichnet sich nach Aristoteles vor allem dadurch aus, dass man die verstandesgemäße Mitte einer Sache findet, denn zu viel oder zu wenig einer guten Sache sind meistens schlecht.

Sittliche Tugenden werden durch Erziehung und vor allem Gewöhnung geprägt. Analog zum Training von bestimmten körperlichen Fähigkeiten wie Kraft kann man auch Tugenden durch Übung beziehungsweise wiederholtes tugendhaftes Handeln trainieren.
Wichtig bei der Definition von tugendhaftem Handeln ist auch, dass man daran Freunde empfindet sowie „wissentlich, (…) mit Vorsatz (…) und ohne [ins] Schwanken [zu geraten] handelt“ (1105a-b).
Tugenden zeichnen sich weiter dadurch aus, dass sie ein „Habitus“ sind, für den man entweder gelobt oder getadelt werden kann (1106a). Jede Tugend oder „Tüchtigkeit“ hat die Eigenschaft, dass sie das, was sie ausmacht „vollkommen macht“ und ebenso der entsprechenden Leistung Vollkommenheit verleiht. Genau so wie zum Beispiel die „Tüchtigkeit“ des Auges dafür sorgt, dass „das Auge selbst und seine Leistung gut [sind], da sie (die Tüchtigkeit, A.K.) bewirkt, dass wir gut sehen“ (1106a, 15ff), ist auch die Tugend des Menschen dafür verantwortlich, dass er selbst gut ist und gut handelt.
Tugendhaftes Handeln wird in erster Linie dadurch bestimmt, dass man Übermaß und Mangel vermeidet und die Mitte einer Sache findet. So wäre zum Beispiel jemand, der in einer Gefahrensituation Angst hat und davon rennt, feige; wenn er die Gefahr jedoch komplett ignoriert, tollkühn. Es gilt also, die Mitte zu finden – im Beispiel wäre also ein tapferer Mensch jemand, der sich der Gefahr bewusst ist, sich ihr aber stellt.
Die Mitte einer Tugend ist dabei nicht arithmetisch zu ermitteln, sondern ist definiert als „die Mitte für uns“ (1106b, 5), die „durch die Vernunft bestimmt wird, und zwar so, wie ein kluger Mann sie zu bestimmen pflegt“ (1107a, 2-3).
Aristoteles bestimmt im Folgenden für einige der wichtigsten Charaktertugenden die Definitionen von Mangel, Übermaß und der Mitte. So bezeichnet er zum Beispiel einen Mangel an Mut als Feigheit, das Übermaß als Tollkühnheit und die Mitte als Tapferkeit; einen Mangel an Lust als Gefühllosigkeit, das Übermaß als Zügellosigkeit und die Mitte als Besonnenheit oder einen Mangel an Zorn als Schwächlichkeit, das Übermaß als Jähzorn und die Mitte als Sanftmut.
Dafür, dass es bisweilen schwierig ist, genau die Mitte zu treffen, zeigt Aristoteles Verständnis. Deshalb erweitert er seine Handlungsempfehlung dahingehend, dass man im Zweifel „das kleinere Übel wählen soll“ (1109a). Die Mitte einer Tugend ist wie erwähnt nicht das arithmetische Mittel zwischen den beiden dazugehörenden Lastern, sondern ist stets mehr der einen Seite zugeneigt. So ist zum Beispiel das Gegenteil von Mut nicht Tollkühnheit, sondern Feigheit und das Gegenteil von Besonnenheit nicht Stumpfsinnigkeit sondern Zügellosigkeit. Ergo ist die Mitte eher in der Nähe des Lasters zu finden, das nicht der Tugend gegenteilig ist, beim Mut also in der Nähe der Tollkühnheit und bei der Besonnenheit in der Nähe der Gefühllosigkeit.
Daraus ergibt sich also, dass wir beim Bestreben, uns tugendhaft zu verhalten, uns vor allem „von dem stärkeren Gegensatz [zur Mitte] entfernen sollten“ (1109a, 30). Diesen erkennen wir daran, dass wir von Natur aus mehr zu ihm geneigt sind.

Ich persönlich finde Aristoteles‘ Ansatz schlüssig und sinnvoll. Sowohl seine Argumentation als auch die sich daraus ergebenen Definitionen von Tugend und sittlichem Handeln sind logisch und nachvollziehbar.
Dementsprechend kann man auch die Handlungsempfehlung, die sich daraus ableitet, verstehen. Darüber hinaus, und das ist jetzt meine persönliche Meinung, ist seine Empfehlung, im Zweifel eher in die Richtung des Lasters zu tendieren, dass näher an der Mitte liegt, durchaus eine gute Richtlinie für moralisch korrektes Handeln im Alltag.

Quellen

2 Gedanken zu „Aristoteles: Tugend als die richtige Mitte

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*